Tag 2 führte uns zunächst nach Houffalize, einem kleinen Ort in der
Nähe von La Roche, der laut Baedeker-Reiseführer (Belgien, 6.
Auflage 2004, S. 382) "orientale Sommerfrische" versprühen soll. Zum
Thema Qualität von Reiseführern habe ich mich ja
an anderer Stelle schon ausgelassen, aber diese Beschreibung
- ganz abgesehen davon, dass es "orientalische" und nicht "orientale"
heißen müsste - setzt allem die Krone auf. Was, bitte, ist in
Houffalize "oriental"? Ich hatte schon Bauchtänzerinnen und
Zwiebeltürme erwartet, doch das orientalischste dort war ein
China-Imbiss am Markt! Ansonsten versprüht der Ort belgisches
Flair, wie man es von einem belgischen Ort auch erwarten
darf: Sandsteinhäuser, Schieferdächer, eine schöne Kirche in
der Ortsmitte und Frittenbuden, Frittenbuden, Frittenbuden!
Apropos Frittenbuden: Wir wussten ja, dass in Belgien jede
Menge Fritten gegessen werden (ich benutze übrigens bewusst nicht
das Wort "Pommes", denn der Wallone sagt schlicht "frites", der
Flame "frieten", womit die Betonung zu Recht auf dem Backfett und
nicht auf den Kartoffeln liegt). Aber dass man zu wirklich jedem
Gericht Fritten gereicht bekommt, auch in feineren Restaurants,
hätten wir nicht gedacht. Carpaccio mit Fritten? Na klar! Fritten
zur Suppe? Ja sicher! Fritten-Pizza? Her damit!
Wir haben dieses Nationalgericht natürlich auch einmal probiert (zum
Steak, wohlgemerkt), und waren positiv überrascht: unsere Fritten
schmeckten überhaupt nicht fettig, sondern sehr nach Kartoffeln.
Wobei, die Fritten selbst scheinen gar nicht die Kunst zu sein,
sondern die Saucen. Da gibt es nicht nur Ketchup und Majo, nein,
unzählige Saucen werden gereicht. Wir haben unsere Fritten zwar pur
gegessen, aber manche Idee fanden wir gar nicht schlecht, z.B. eine
Currysauce. Sollte man vielleicht mal versuchen...
Weiter ging die Fahrt durch die Ardennen über Bastogne
(bekannt durch das Radrennen Lüttich-Bastogne-Lüttich) und einige
kleinere Orte wie Neufchâteau und Aby nach Bouillon.
Unterwegs bekamen wir immer wieder kleine Schätze zu sehen wie z.B.
die Dorfkirche auf dem Foto unten. Auch die Natur zeigte sich von
ihrer schönsten Seite, und im Gegensatz zum Vortag herrschte kaum
Verkehr.
Bouillon ist ein ganz netter Ort an der Semois, von dem der
Dumont-Reiseführer (Belgien, 2. Auflage 2011, Seite 265) übrigens
tatsächlich behauptet, dort sei die Fettsuppe erfunden worden!
Tatsächlich weiß doch jeder, der drei Worte französisch spricht,
dass die auch als "Bouillon" bekannte Suppe sich vom französischen "bouillir"
(= kochen) ableitet. Soviel nochmals zur Qualität der
Belgien-Reiseführer. Man wird komplett für dumm verkauft. Wie dem
auch sei, vielleicht sollte man in Bouillon statt einer Bouillon
ohnehin lieber Fisch essen, oder - wie wir - Waffeln mit Sahne und
Crêpe mit Schokosauce.
Über Parliseul und Wellin erreichten wir schließlich
unser Reiseziel Dinant. Unterwegs kommt man übrigens durch den
kleinen Ort Radu, der sicherlich einen Stopp wert gewesen
wäre, schon wegen der Kirche, vor allem aber wegen des berühmten
antiquarischen Buchmarkts. Im Dorf werden nämlich an tausend
Ecken Bücher verkauft, und zwar in allen Sprachen, denn die
Dorfbewohner dürften sich mit Lesestoff mittlerweile eingedeckt
haben, Kunden sind u.E. nahezu ausschließlich Touristen. Wir
bedauern es etwas, hier nicht angehalten zu haben.
Dinant entpuppte sich bereits auf den ersten Blick als das
Highlight unseres Ausflugs. Die malerische Lage an der Maas zieht
den Betrachter sofort in ihren Bann.
Erste Attraktion am
Platz ist die oben im Bild zu sehende evangelische Stiftskirche
Notre Dame aus dem 13. Jahrhundert. Besonders der 1566 fertig
gestellte Mittelturm ist recht ungewöhnlich. Er passt in Form und
Farbe nicht wirklich zum restlichen Gemäuer, fasziniert aber
vielleicht gerade deswegen. Die ebenfalls gut zu erkennenden Zitadelle auf dem
Felsen an der Ostseite der Stadt erreicht man per pedes über eine nicht
enden wollende Treppe oder bequem mit einer Seilbahn. Beide
Aufstiegsmöglichkeiten kosten 7,50 Euro, und obwohl die
Treppe durch diese faire Gleichbehandlung meines Erachtens deutlich
an Attraktivität verliert, nahmen nicht Wenige die Mühe auf sich.
Oben angekommen bietet sich Kletterern und Seilbahnfahrern derselbe
schöne Blick auf Dinant und die Maas:
Neben diesen
Hauptattraktionen gibt es eine Reihe weiterer Sehenswürdigkeiten in
Dinant.
Zwei sind besonders zu nennen: Erstens die Avenue Sax, die nach Adolphe Sax
benannt ist, dem Erfinder des Saxophons. Selbiger hat zwar in
Brüssel und Paris gelebt und gearbeitet, geboren wurde er aber in
Dinant. Das genügt, um ihm eine eigene Straße und ein kleines Museum
zu widmen. Durch ihn erklären sich auch die riesigen bunten Saxophone auf
der Brücke über die Maas. Und zweitens die von den Einwohnern "Rocher Bayard"
genannte Felsnadel, die 1698 aus dem Berg gesprengt wurde, um Platz
für die südliche Zufahrtsstraße zu gewinnen. Mit ihrer
majestätischen Höhe von 40 Metern wirkt sie sehr beeindruckend,
wobei man die Durchfahrt nach heutigen Maßstäben ruhig etwas
verbreitern könnte.
Eigentlich machen aber weniger diese Sehenswürdigkeiten den
Aufenthalt in Dinant zu einem Erlebnis, als vielmehr die gesamte
Atmosphäre des Ortes, der sich so harmonisch zwischen Felsen und
Fluss einfügt. Einziges Manko ist, dass auch hier reger Autoverkehr
in der Innenstadt herrscht. Welche Wunder würde hier eine
Verkehrsberuhigung wirken!
Zum Glück lag unsere Unterkunft wieder ein wenig abseits des
Geschehens, zwei Minuten mit dem Auto von der Innenstadt entfernt.
Die
Auberge de Bouvignes wurde um 1830 erbaut und wird heute von
Vincent und Elena betrieben. Die unaufdringliche, gleichzeitig aber
allgegenwärtige Gastfreundschaft der beiden wird uns noch lange in
Erinnerung bleiben. Nicht weniger als drei Welcome-Drinks pro
Person, Gratis-Wasser auf dem Zimmer, Gratis-Sekt zum Essen,
Frühstück im Freien, eine private Garage für das Auto und eine
Führung durch das Haus sind nur einige Beispiele hierfür. Sollten
wir jemals wieder nach Dinant kommen, gäbe es für uns keine andere
Unterkunft, soviel ist sicher.
Ebenso sicher ist, dass uns die eineinhalb Tage in Dinant nicht lang
wurden. Neben der Besichtigung der o.g. Sehenswürdigkeiten haben wir
z.B. ein Elektroboot gemietet. Nicht ganz billig, der Spaß (eine Stunde 40 Euro),
aber eine willkommene Abkühlung an diesem sehr warmen Tag.
Außerdem haben wir einen Ausflug entlang der "Bierroute" in die Dörfer der
Umgebung unternommen. Dabei gerieten wir mitten in ein Radrennen, an
dem gefühlte 2.000 Rennfahrer teilnahmen, die zu allem Überfluss aus
verschiedenen Richtungen kamen und uns zeitweise umzingelt hatten.
Bei dieser Gelegenheit machten wir - wie schon die ganze Fahrt über
- ausgiebige Bekanntschaft mit der belgischen Art der Beschilderung,
die nämlich darin besteht, entweder alles auszuschildern,
sodass man im Chaos des Schilderbaums im Vorbeifahren gar nichts
mehr erkennt (vgl. links unten das eher harmlose Beispiel eines solchen
Falls aus Houffalize), oder nichts auszuschildern, was auf's
selbe 'rauskommt, aber eine Menge Blech spart. In den Dörfern um
Dinant hatte man sich offensichtlich für die zweite Variante
entschieden, wobei man auch daran gedacht hatte, dass jemand eine
Straßenkarte oder ein Navigationsgerät besitzen könnte, denn deren
Nutzen wusste man durch geschickt eingestreute Umleitungen zu minimieren. Auf diese Weise lernten wir zumindest die
ganze Umgebung von Dinant kennen.
Nicht unerwähnt bleiben darf nach alledem, wie vorzüglich wir in
Dinant gegessen haben. Belgien hat eben nicht nur Fritten zu
bieten. Sehr gut ist etwa das
Café des Arts
schräg gegenüber von Notre Dame, wo man wirklich vorzügliche Speisen
zu günstigen Preisen serviert bekommt. Wenn es etwas feiner sein
soll, ist das Restaurant in der Auberge de Bouvignes zu empfehlen
(allein schon für die göttliche Crème brûlée), es hat allerdings nur
am Wochenende geöffnet.
Kaum zu glauben, dass drei Tage so schnell vergehen können. Am
Sonntag stand für uns nur noch die Rückreise an, wobei wir hinter
Namur direkt auf die Autobahn und über diese bis nach Münster
fuhren, ohne noch einmal anzuhalten. Sicherlich hätte man in Namur
noch dieses oder jenes besichtigen können, und auch Lüttich wäre
vermutlich einen Stopp wert gewesen, aber nach drei Tagen
Sonnenschein zog es sich merklich zu, sodass wir uns für den raschen
Rückmarsch entschieden. Vielleicht kommen wir ja eines Tages in die
Ardennen zurück, um Versäumtes nachzuholen. Eine zweite Reise wert
wären sie allemal.
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