"Oh!". So brachten
Angehörige, Freunde und Bekannte zum Ausdruck, was sie von unserer
Absicht hielten, nach Indien zu reisen. In diesem kurzen Laut lag
einerseits Verwunderung über dieses exotische Reiseziel,
nicht selten gepaart mit Sicherheitsbedenken nach den
Anschlägen von Bombay 2008, aber auch Respekt vor diesem Abenteuer.
Uns ging es nicht anders. Natürlich würde man sich auf eine andere
Lebensweise einstellen müssen, und es gäbe sicherlich viel Armut zu
sehen. Aber letztlich überwog die Vorfreude auf ein pulsierendes
Land, eine fremde Kultur und einmalige Sehenswürdigkeiten.
Die nähere Planung ergab schnell, dass ein Kompromiss vonnöten sein
würde: Erstens wollten wir auf einen gewissen Komfort nicht
verzichten, und zweitens nicht von einer Gruppe abhängig sein. Diese
Prämissen schlossen Rucksackreise und Bustour aus.
Da Indien allerdings kein Land für Selbstfahrer ist, blieb nur eine
Individualreise im Pkw mit Fahrer und - bei Bedarf - Reiseführern
vor Ort. Als Reiseziel legten wir Rajasthan fest, ein
Bundesland im Nordwesten Indiens, das ungefähr so groß ist wie
Deutschland. Dort leben 55 Millionen Menschen, überwiegend auf dem
Land. In erreichbarer Nähe liegen die Metropolen Delhi und Agra.
Delhi wird von Deutschland aus täglich nonstop
angeflogen, bot sich also als Start und Ziel an.
Die beste Reisezeit für diesen Teil Indiens ist der
europäische Winter, also die Zeit von Oktober bis März. Wir
entschieden uns für die letzte Februar- und erste Märzwoche. Zu
dieser Zeit gibt es in Rajasthan null Regen und Temperaturen
zwischen 25 und 30 Grad. Was will man mehr?
Die Flüge nach Delhi gehen nachmittags ab und landen -
auch Dank des indischen Zeitvorsprungs von viereinhalb Stunden -
spät in der Nacht. Deshalb ließ sich auf dem Transfer vom Flughafen
zum Hotel kaum ein erster Eindruck von dieser
12-Millionen-Metropole gewinnen. Selbst um 3 Uhr herrschte aber
noch reger Verkehr. Wir ahnten bereits, dass dies nur ein kleiner
Vorgeschmack dessen war, was uns am nächsten Morgen erwartete, als
wir unsere Rundfahrt durch die Hauptstadt Indiens antraten:
Mit einem Wort:
Chaos. Mitten im Wirrwarr aus Lastwagen, Traktoren, Autos, Motorrädern, Tuk-Tuks,
Rikschas, Kamelkarren, fliegenden Händlern, Fahrrädern und
Fußgängern irren Rinder und Straßenköter längs und quer über die
Fahrbahn. Und dies nicht nur auf schmalen Landwegen, sondern mitten
in der Stadt, selbst auf der Autobahn. Zu allem Überfluss sind die
Straßen - ja, das ist möglich! - in einem noch schlechteren Zustand
als in NRW. Schutt und Schlaglöcher überall. Theoretisch haben die
Engländer den Linksverkehr eingeführt, praktisch ist die
Gegenfahrbahn eine gern genutzte Überholspur. Nicht zu fassen, wie
immer wieder Geisterfahrer vor unserem Toyota auftauchten,
nur um im allerletzten Moment das Steuer doch noch herumzureißen und
einen Frontalcrash zu vermeiden! Dies alles muss man sich in einer
konstanten Geräuschkulisse aus brummenden Motoren und
ununterbrochenem Hupen vorstellen. Unser Fahrer - Balbir -
nannte uns gleich zu Anfang sein Credo: Good horn, good brakes, good
luck!
Apropos good luck: Durch Balbir machten wir auch Bekanntschaft mit
unserem ersten Hindugott. Auf seinem Armaturenbrett thronte nämlich
eine elefantenköpfige Gestalt (Bild rechts), die er uns als
Ganesha vorstellte. Ganesha ist der Glücksgott der Hindus. Man
findet ihn nicht nur in Autos, sondern vor allem über vielen
Hauseingängen. Den Elefantenkopf trägt er, weil sein Vater Shiva ihm
der Legende nach infolge einer Verwechslung den Kopf abgeschlagen
haben soll, und als er den Irrtum bemerkte, seinen Fehler dadurch
wieder gutzumachen versuchte, dass er ihm den Kopf des ersten
Lebewesens verpasste, das ihm über den Weg lief - tragischerweise
ein Elefant.
Delhi unterteilt sich in die historische Stadt Delhi, heute auch Alt
Delhi genannt, und das von den Engländern begründete Neu Delhi.
Letzteres bildete den Ausgangspunkt unserer Rundfahrt. Bereits nach
einer knappen Stunde durch den oben beschriebenen Verkehr erreichten
wir die Qutb Minar, eine Siegessäule aus rotem Sandstein.
Mit diesem fünfstöckigen, 72,5m hohen Monument wollten die
islamischen Fürsten, die ab 1193 für sieben Jahrhunderte in Delhi
und Umgebung herrschten, den endgültigen Sieg des Islam über den
Hinduismus manifestieren. 1368 wurde die Säule, welche sich nach
oben stark verjüngt (Fundament: 15m, Spitze 2,5m Durchmesser), nach
mehr als 150 Jahren Bauzeit endlich vollendet. Sie steht lauschig
inmitten einer Grünanlage. Neben ihr befindet sich eine gut
erhaltene Moschee, die aus den Steinen von 27 kleineren Hindutempeln
erbaut wurde, deren Ruinen teilweise noch erkennbar sind.
Als besonderes Highlight der Anlage wurde uns ein ca. 7m hohes
Eisenrohr vorgestellt, das seit 1.500 Jahren auf seinem Platz
steht und zwei Geheimnisse birgt: Erstens weiß niemand, wer es warum
aufgestellt hat, und zweitens rätselt man, warum es in all den
Jahrhunderten keinen Quadratzentimeter Rost angesetzt hat. Im Bild
rechts ist es vor dem zweiten Torbogen von rechts gut zu erkennen.
Als zweites besichtigten wir das Humayun-Mausoleum. Man muss
wissen, dass weite Teile Indiens ab 1526 unter Herrschaft islamischer
Moguln standen. Dieses Mogulreich wurde von Babur
begründet, der jedoch schon 1530 von seinem Sohn Humayun beerbt
wurde. Besagter Humayun war kein Machtmensch, sein Interesse galt
nicht Militär und Staatswesen, sondern den schönen Künsten.
Trefflich daher auch sein Tod: 1556 stürzte er in seiner Bibliothek
eine Treppe hinunter. Geblieben ist sein Mausoleum. Von seiner Witwe
in Auftrag gegeben, wurde es bereits 1565 fertig gestellt, also nach
nur 9 Jahren Bauzeit. Stilistisch gilt es als Vorbild des knapp
100 Jahre jüngeren Taj Mahal, auch wenn es nicht aus weißem
Marmor, sondern überwiegend aus rotem Sandstein besteht. Zwar fehlen
die Minarette; gleich sind aber u.a. die große Doppelkuppel in der
Mitte, das zentrale Portal und der äußerst symmetrische
Gesamteindruck. Zum Vergleich ziehe man den Mauszeiger über das
folgende Bild:
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In der sehr
weitläufigen Parkanlage, die das Humayun-Mausoleum
umgibt, befindet sich das Mausoleum von Isa Khan, eines
hohen Beamten unter Humayun. Sein prächtiger Kuppelbau ist
auch äußerst sehenswert:
Sicherlich hätte man in Neu Delhi noch eine Menge mehr sehen
können, z.B. das India Gate (an dem wir immerhin
vorbeigefahren sind) oder die Lodi-Gärten, aber dafür
blieb leider keine Zeit. Unser örtlicher Reiseleiter, sehr auf
Tempo bedacht, steuerte
vielmehr ohne Umwege Alt Delhi an. |
Den alten und neuen Stadtteil von Delhi kann man nicht miteinander
vergleichen. Ersterer ist chaotisch gewachsen, letzterer von den
Engländern am Reißbrett entworfen worden. Beide sehen für
europäische Verhältnisse ärmlich aus, aber das Gefälle zwischen
ihnen ist noch einmal gewaltig. Nur den endlosen Stau haben sie
gemein. Man muss mit eigenen Augen gesehen haben, was da alles auf
Indiens Straßen unterwegs ist, hier glaubt einem das kein Mensch.
Eine kleine Auswahl:
Nach einer endlosen
Fahrt kamen wir schließlich am Raj Ghat an. Der Raj Ghat ist
ein Park, in dem berühmte Hindu-Politiker Indiens nach ihrem Tod
verbrannt worden sind, unter ihnen Mahatma Ghandi und Indira
Ghandi (die übrigens nicht verwandt sind). An die Bestattungen
erinnern heute schlichte Denkmäler. Das von Mahatma Ghandi besteht
aus einer schwarzen Marmorplatte und einem ewigen Feuer. Wer es
besichtigen will, muss die letzten 100m ohne Schuhe bewältigen.
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Zweite Station in Alt Delhi war das Rote Fort, eine Trutzburg
von gewaltigen Ausmaßen. Schon die 2,5 km lange Mauer, deren
Farbe das Fort seinen Namen verdankt, ist sehr imposant:
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Neun Jahre hat man gebaut, bis das
Fort 1648 fertig war. Man betritt es durch eines der
beiden gewaltigen Tore (Bild unten: Lahore-Tor). Das Innere ist sehr weitläufig,
denn dem Maharaja sollte es während seines Aufenthalts
dort an nichts fehlen: Thronsaal, Bäder, Schlafräume,
Harem - alles vorhanden, was man so zum Leben braucht. |
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Den Abschluss der
Stadtrundfahrt bildete die 1650 fertig gestellte Jamia Masjid, die
größte Moschee Indiens. Die Anfahrt dorthin führt zwangsläufig durch ein Armenviertel.
Die Zustände dort sind unbeschreiblich. Wenn man im klimatisierten
Wagen durch eine solche Gegend gefahren
wird, fühlt man sich unwillkürlich in die Kolonialzeit
zurückversetzt, als die Engländer dort die Herren spielten. Dieser
Kontrast zwischen Arm und Reich ist in Indien allgegenwärtig
und unübersehbar. Wir haben am Ende gesagt, wer ihn nicht aushalten
kann darf nicht dorthin reisen. Natürlich gibt man überall
Trinkgelder, auch dort wo es vielleicht nicht angezeigt gewesen
wäre, aber man kann einfach nicht jeden retten. Gibt man einem
Bettler etwas, kommen sofort zehn weitere. Schäbig ist, dass
organisierte Banden kleine Kinder gezielt zum Betteln einsetzen. Man
weiß manchmal gar nicht, ob man diese Machenschaften mit einer
Spende noch unterstützt. Schon aus Sicherheitsgründen sollte man
keinesfalls das Fenster oder gar die Tür öffnen, wenn an einer roten
Ampel gegen die Scheibe geklopft wird - auch das ist in den Städten
eine allgegenwärtige Sitte!
Die Jamia Masjid als Moschee zu bezeichnen, ist insoweit
irreführend, als es sich nicht nur um ein Gebäude, sondern um eine
ganze Anlage handelt, deren Innenhof 25.000 Gläubigen Platz zum Gebet
bietet. Dort findet sich auch ein Becken
von Freibadgröße zum Füßewaschen. Selbstverständlich zieht man hier die Schuhe aus, für die Frauen ist zusätzlich ein langes Gewand
vorgeschrieben. Hat man keines zur Hand, bekommt man gratis eines gestellt.
Für alles andere kassieren die Moslems hingegen ganz schön ab: Für
jeden Fotoapparat werden 200 Rupien fällig (1 Euro
entspricht etwa 60 Rs) - ein für indische Verhältnisse irrer Preis
(zum Vergleich: Eine Taxifahrt quer durch Delhi kostet 80 Rs). Will
man das Minarett besteigen, was für Frauen übrigens nur in
männlicher Begleitung möglich ist, kostet dieses Vergnügen weitere 200
Rupien pro Nase. Hinzu kommen unvermeidliche Trinkgelder für Türsteher,
Schuhaufpasser usw. Dennoch: Fotografieren muss man, und das
Minarett besteigen muss man auch. Nach 150 steilen Stufen in einem
extrem engen Turm wird man nämlich mit diesem Ausblick auf Delhi
belohnt:
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