Für die Fahrt von Delhi nach Mandawa, unserer Zwischenstation auf dem Weg nach Bikaner, waren im Reiseprospekt sechs Stunden vorgesehen. Zunächst wunderten wir uns darüber, denn die Entfernung betrug nur 240 km, hierzulande also kaum mehr als zwei Stunden. Aber unser Fahrer tuckerte in aller Seelenruhe mit 70, 80 km/h durch die Gegend. Den Verkehr und die schlechte Beschaffenheit der Straßen eingerechnet, verdoppelt und verdreifacht sich die Reisezeit leicht. Dennoch hatten wir Verständnis: Da jederzeit plötzlich Tiere auf die Fahrbahn laufen, ein Fahrzeug in den Gegenverkehr ausscheren oder eine der Millionen Schwellen in der Fahrbahn zu überqueren sein kann (die einzige, aber wirkungsvolle Möglichkeit, den indischen Autofahrer zur Mäßigung zu zwingen), empfiehlt es sich wirklich, jederzeit bremsbereit zu sein.

Mandawa selbst ist für indische Verhältnisse ein kleines Dorf (ca. 5.000 Einwohner), das früher zu erheblichem Wohlstand kam, als die Kamelkarawanen hier vorbeizogen. Zoll, Versorgungsleistungen und reger Handel ließen wohlhabende Kaufmannsfamilien entstehen, die sich prachtvolle Häuser errichteten. Diese werden Havelis genannt. Nach dem Ende der Karawanen ging es mit Mandawa steil bergab, die wohlhabenden Kaufleute verließen nach und nach den Ort. Ihre Havelis ließen sie zurück und setzten sie dem Verfall aus. Das Stadtbild erinnert daher etwas an die Trümmerjahre hierzulande:

Inzwischen wurden viele Havelis vom gemeinen Volk okkupiert. Die Art und Weise, wie diese Menschen dort hausen, hat nicht gerade zur Erhaltung der Bausubstanz beigetragen. Von den wertvollen historischen Malereien ganz zu schweigen. Dennoch sind die Havelis die Hauptattraktion des Ortes, und immerhin ein halbes Dutzend von ihnen ist auch restauriert, zumindest partiell. Die Malereien zeigen vor allem religiöse Motive, aber auch den Fortschritt wie Autos, Eisenbahnen usw.

Zweites Highlight in Mandawa ist Mandawa Castle, unser Hotel für die Nacht. Mandawa Castle war der erste mehrerer Fälle auf unserer Reise, in denen das Hotel selbst eine Sehenswürdigkeit war. 

Man muss sich die Situation einmal vorstellen: Die Straße oben links ist die Hauptstraße in Mandawa, d.h. die bei weitem breiteste und sauberste. Wir fuhren bestimmt eine Viertelstunde lang durch diese und weit weniger ansehnliche Gassen und fragten uns, wo wir hier wohl übernachten sollen. Und dann - wie aus dem Nichts - steht der Wagen plötzlich vor dem Hotel oben rechts. Eine Luxusoase inmitten dieser Verhältnisse. Wäre nicht zufällig an diesem Tag ein großes Hindufest (Maha Shivarati) gewesen, anlässlich dessen ganztägig (und ganznächtig) per Lautsprecher religiöse Gesänge in AC/DC-Lautstärke den Ort beschallten, hätten wir dort sicherlich bestens geschlafen.


Mandawa Castle war ja schon schön, aber kein Vergleich zum Laxmi Niwas Palace in Bikaner. Bei diesem Hotel handelt es sich um den früheren Palast des Maharajas von Bikaner.


 

Zwar gibt es keinen Maharaja von Bikaner mehr, weil der letzte seiner Art vor wenigen Jahren verstorben ist und nur zwei Töchter hinterlassen hat, aber eine königliche Familie existiert noch. Diese bewohnt noch immer ein (für Hotelgäste selbstverständlich unzugängliches) Drittel des Palastes. Ein weiteres Drittel ist heute ein Museum, das letzte Drittel eben jenes Luxushotel "Laxmi Niwas Palace", in dem eine wundervolle, orientalische Atmosphäre herrscht. Dazu tragen die Architektur, die Einrichtung (überall hängen alte Fotografien an der Wand) und die Gastfreundschaft der Betreiber gleichermaßen bei. Wir haben unseren Aufenthalt in diesem Hotel jedenfalls sehr genossen.

Wie die Bilder unten (Vergrößerung: Mauszeiger über das kleine Bild führen) zeigen, hat man vom Dach aus eine großartige Aussicht über ganz Bikaner. Im Innenhof konnte man Abends unter sternenklarem Himmel bei 20 Grad romantisch-gediegen speisen. Es war einfach herrlich. Wir hätten Wochen dort verbringen können!

 

Die Stadt Bikaner hat vor allem zwei Sehenswürdigkeiten zu bieten. Da ist zum einen der Jain-Tempel. Beim Jainismus (4,5 Mio. Anhänger, 95% davon sind Inder) handelt es sich um eine besonders strenge, asketische Religion. Sie ist dem Hinduismus nicht unähnlich, weil Jain People auch an den Kreislauf aus Geburt, Tod und Wiedergeburt glauben, aus dem es auszubrechen gilt. Drei Merkmale sind für sie prägend: Die Wahrhaftigkeit, die unbedingte Achtung aller Lebewesen und die Ablehnung jeglicher Technik, weil der Mensch von Gott ohne Hilfsmittel in die Welt entsandt wurde. Während die Wahrhaftigkeit kein Problem ist, treiben die beiden anderen Mottos gewisse Exzesse. Jain-People sind natürlich Veganer. Sie essen nichts, was in der Erde wächst (also z.B. keine Kartoffeln, wohl aber Äpfel). Um nicht aus Versehen eine Fliege zu verschlucken, bedecken sie ihren Mund immer mit einem weißen Tuch. Wenn sie von einem Ort zum anderen wollen, müssen sie laufen, und sei es mehrere tausend Kilometer (Transportmittel = Technik = Is' nich!). Ihre Haare dürfen sie sich auch nicht mit einer Schere schneiden. Vielmehr verbrennen sie sie mit heißer Asche (autsch!). Geld haben sie gar nicht, Essen wird ihnen gegeben. Es soll eine besondere Ehre sein, wenn Jain Speisen von jemandem annehmen, weil sie bestimmt einige Dutzend Angebote ablehnen, bevor sie dann doch in eines einwilligen. Diese Lebenseinstellung wirkt auf mich irgendwie merkwürdig, aber auch achtenswert. Den Jain verdankt Indien einige seiner schönsten Tempel. Der von Bikaner gehört nicht unbedingt dazu (Bild links), aber das farbenfrohe Innere (Bild rechts) lohnt einen Besuch trotzdem.

Die zweite Attraktion von Bikaner ist Junagarh Fort (jede Stadt in Rajasthan hat ihr Fort). Über 350 Jahre bauten erst die Maharajas, später die Briten an diesem Kasten, bis er 1937 in seiner heutigen Gestalt fertig war. Sehr gut kann man die verschiedenen, ineinander verschmolzenen Baustile der jeweiligen Epochen und Kulturen erkennen. Das Innere des Forts, bestehend aus diversen Palästen, Versammlungsräumen, Innenhöfen usw. ist besonders prunkvoll. Die Maharajas von Bikaner waren nicht gerade arm, und das haben sie auch gezeigt.

Trotz dieser Sehenswürdigkeiten blieb für uns jedoch der Laxmi Niwas Palace die eigentliche Attraktion Bikaners.


Auf dem Weg von Bikaner nach Jodhpur liegt, schon mitten in der Wüste Thar, der kleine Ort Khimsar. Unser Reiseplan sah im dortigen Khimsar Fort eine Zwischenstation vor. Bevor wir dort eintrafen, besichtigten wir unterwegs noch einen Hindutempel, diesmal ganz spontan und ganz ohne Reiseleiter. Dort herrschte gerade reges Treiben, und wir tauchten in die Masse der Gläubigen ein. So ganz auf uns allein gestellt unter lauter fremden Menschen war uns zwar ein bisschen mulmig, aber grundlos, wie sich herausstellte. Im nachhinein war es eine Erfahrung, die wir nicht missen möchten. Hier wurde uns auch zum ersten Mal richtig bewusst, wie sehr die Frauen in ihren bunten Saris das Erscheinungsbild Indiens prägen.

Kurz vor Khimsar erwartete uns dann noch eine Geduldsprobe indischer Machart: Wir mussten vor einem Bahnübergang halten. Eigentlich kein Problem, sollte man meinen, denn bei uns kommt normalerweise wenige Minuten später ein Zug. Nicht so in Indien. Die Schranken werden dort nämlich noch manuell bedient, und die Schrankenwärter stecken mit den örtlichen Händlern unter einer Decke. Deshalb wird die Schranke mindestens eine Viertelstunde vor Ankunft des Zuges heruntergelassen. Auf diese Weise haben die Händler genügend Zeit, den wartenden Autofahrern ihre Waren feil zu bieten. Ich habe keinen Bahnübergang ohne drei, vier Krimskramsbuden gesehen. Ist der Zug endlich durch, geht es nicht etwa weiter. Nein, die nachfolgenden Inder sind natürlich zwischenzeitlich an den vor ihnen wartenden Autos vorbei auf die Gegenfahrbahn gezogen, mit der Folge, dass sich nach dem Öffnen der Schranke auf beiden Fahrspuren Verkehr und Gegenverkehr frontal gegenüberstehen. Als Ausweich- und Rangierfläche bleibt dann nur noch der Gleisbereich, in den allerdings auch schon einige Tuk-Tuks vorgeprescht sind. Dass sich der Stau überhaupt wieder aufgelöst hat, grenzt an ein Wunder.

Endlich in Khimsar angekommen, erwartete uns jedoch eine echte Belohnung in Form unseres Hotels. Das Khimsar Fort entpuppte sich als hervorragendes Heritage Hotel, nicht unähnlich dem Laxmi Niwas Palace. Eine echte Oase!

Von dort aus unternahmen wir am späten Nachmittag noch eine Jeepsafari in die Wüste Thar. Entgegen meiner Vorstellung von einer Wüste besteht die Wüste Thar keineswegs nur aus Sand. Vielmehr ist sie durch Bäume und Sträucher aufgelockert, auch wenn selbige infolge des sandigen Bodens spärlich und karg erscheinen. Immerhin bieten sie einigen Pflanzenfressern ausreichend Nahrung. Während unserer Jeeptour sind wir beispielsweise wild lebenden Springböcken und Antilopen begegnet, die mir freundlicherweise genau in die Kamera blickten.

Das eigentliche Ziel der Fahrt war jedoch eine Düne, auf der man den Sonnenuntergang über der Wüste beobachten konnte - und das bei Kaffee und Plätzchen! Einige hundert Meter vor der Düne war für den Jeep übrigens Schluss, das letzte Stück legten wir per "Camel Car" zurück.