Die letzte Station unserer Rundreise war Agra, eine
1,5-Millionenstadt südöstlich von Delhi. Dort steht die mit
Abstand bekannteste Sehenswürdigkeit Indiens, der Taj Mahal.
Vorgesehen war ein Besuch dieses "achten Weltwunders" zwar
erst für den Morgen des nächsten Tages, doch erstens soll die
Abendsonne den Taj Mahal in ein besonders vorteilhaftes Licht
tauchen, und zweitens konnten wir es einfach nicht mehr
abwarten. Deshalb machten wir uns unmittelbar nach dem
Check-In in
Jaypee Palace Hotel auf den Weg dorthin.
Den Taj Mahal ließ Mogulherrscher Shah Jahan, ein Enkel
Akhbars des Großen, zwischen 1631 und 1648 errichten. Andere
sagen bis 1653, es kommt wohl darauf an, ob man nur den Taj
Mahal selbst oder die ganze Anlage zählt. Der meisterhafte
Architekt ist bis heute unbekannt. Hintergrund der Entstehung
des Taj Mahal war eine tragisch-romantische Geschichte: Shah
Jahans Hauptfrau Mumtaz Mahal verstarb bei der Geburt
ihres 14. Kindes. Auf dem Sterbebett versprach Shah Jahan ihr
erstens nicht wieder zu heiraten und zweitens ihr ein Grabmal
zu bauen, wie es die Welt noch nicht gesehen habe. Beide
Versprechen hat er gehalten.
Nachdem man seinen Eintritt von 750 Rupien (= 15 Euro, für
indische Verhältnisse eine unglaubliche Summe) bezahlt hat,
betritt man den Komplex durch ein großes, prachtvolles
Eingangstor an der Südseite (kleines Bild rechts), das für sich genommen eine
Sehenswürdigkeit ist und den Besucher mit offenem Mund
zurücklassen würde, stünde es nicht unmittelbar vor dem Taj
Mahal! Durch das Tor kann man bereits einen ersten Blick auf
dieses schönste aller von Menschenhand geschaffenen Gebäude
erhaschen (kleines Bild links oben).
Im Vorfeld hatten wir schon viel über die Anziehungskraft
dieses in weißem Marmor gehaltenen Baus gelesen, der den
Besucher "in seinen Bann ziehen", ja gar eine "magische
Wirkung" auf ihn ausüben soll. Ich begegne solchen
Beschreibungen immer mit der mir eigenen Skepsis, aber in
diesem Fall stimmte alles! Worte und Bilder können die
Schönheit des Anblicks in natura nicht ansatzweise
beschreiben. Wenn man den Taj Mahal einmal betrachtet hat,
kann man die Augen einfach nicht mehr abwenden. Es ging so
weit, dass wir uns auf dem Rückweg unwillkürlich immer wieder
umdrehten, als wollten wir sicher gehen, dass das Ding hinter
uns noch steht. Vergleichbares habe ich nur an den
Pyramiden
von Gizeh erlebt.
Meines Erachtens tragen drei Dinge zu dieser "magischen
Anziehungskraft" des Taj Mahal bei. Erstens die
vollkommene Symmetrie des Gebäudes, dessen vier Seiten
aufs Haar genau identisch sind. Diese Harmonie ist für das Auge sehr
wohltuend. Und das war den Erbauern auch bewusst. Nachdem sie
links neben dem Taj Mahal eine Moschee errichtet hatten,
bauten sie rechts daneben ein identisches Gebäude ohne jede
Funktion, nur um die Symmetrie nicht zu stören. Es wird
"Gästehaus" genannt, dort hat aber nie jemand auch nur eine
Stunde gewohnt. Zweitens steht der Taj Mahal völlig frei in
der Landschaft, hinter ihm wölbt sich nur der blaue
Himmel. Viele wunderschöne Gebäude verlieren ihre Wirkung
dadurch, dass sie ganz zugebaut sind (ich denke da besonders
an Kirchen in Innenstädten). Und drittens ist es der Baustoff.
Der weiße Marmor wirkt unglaublich elegant, vornehm,
edel - einfach schön! Ein wohltuender Kontrast zu Akhbars
rotem Sandstein, der ansonsten die Architektur Rajasthans
dominiert (Agra liegt genau genommen nicht mehr in Rajasthan,
sondern bereits in Uttar Pradesh, aber durchaus noch im
Einflussbereich des ehemaligen Mogulreiches).
An diesem ersten Abend ließen wir das Gebäude als Ganzes auf
uns wirken. Tatsächlich wandelt sich seine Farbe in der
Abendsonne von weiß in goldgelb. Am nächsten Morgen - jetzt in
Begleitung eines Reiseleiters - hatten wir dann auch ein Auge
für die Details. Die schon angesprochene vollkommene Symmetrie
des Gebäudes erstreckt sich bis auf das letzte Zeichen in dem
arabischen Schriftzug, der die Zugänge einrahmt. Die Muster in
den Wänden sind nicht etwa aufgemalt, sondern
Einlegearbeiten mit Halbedelsteinen! Für jeden dieser
abertausend Edelsteine wurde ein passendes Loch in den Marmor
geritzt und der Edelstein dann passgenau eingefügt. Eine
unglaubliche Arbeit, die sich aber gelohnt hat, denn
verwittern kann so nichts. Die Spitze war früher aus Gold, sie
wurde jedoch von den Engländern abmontiert und eingeschmolzen.
Welch Frevel! Heute sieht man eine Replik aus Messing. Die
Engländer wollten übrigens den ganzen Taj zersägen und nach
England exportieren. Der Plan war bereits weit fortgeschritten
und scheiterte nur daran, dass sich kein Geldgeber fand.
Die vier Minarette an den Ecken des 100x100m großen
Sockels, auf dem der Taj Mahal steht, sind übrigens
absichtlich leicht geneigt, damit sie im Falle eines Unglücks
nicht auf den Taj Mahal stürzen. Im Inneren - zu betreten
selbstverständlich nur barfuß oder mit gratis zur Verfügung
gestelltem Schuhüberzug - befindet sich zentral der Sarkophag
von Mumtaz Mahal (Zur Erinnerung: Die Moguln waren Moslems,
die - anders als die Hindus - nicht verbrannt, sondern
beerdigt werden). Vom Eingang aus gesehen links neben ihr
befindet sich der Sarkophag Shah Jahans, der Platz rechts
neben ihr ist frei. Diese Anordnung ist das einzig
Asymmetrische am ganzen Bauwerk. Es darf spekuliert werden, ob
das alles so geplant war. Unser Reiseleiter erzählte uns
voller Überzeugung die Mär, dass Shah Jahan einen weiteren
Taj Mahal aus schwarzem Marmor für sich geplant habe.
Sogar das angebliche Fundament auf der gegenüber liegenden
Seite des Flusses Yamuna zeigte er uns. Wegen der ausufernden
Kosten habe sein Sohn Aurangzeb ihn jedoch schließlich
abgesetzt und für den Rest seines Lebens im Agra Fort
gefangen gehalten. Nach seinem Tod sei Shah Jahan dann notdürftig
neben seine geliebte Mumtaz Mahal gelegt worden.
Nichts davon stimmte! Das "Fundament" ist in Wahrheit der Rest
einer Gartenanlage, die noch auf den ersten Mogulherrscher
Babur zurückgeht. Entmachtet wurde Shah Jahan von Aurangzeb
nach einer langen Krankheit im Zuge eines Nachfolgestreits mit
Aurangzebs Bruder und rechtmäßigem Thronfolger Dara Shikoh.
Für einen schwarzen Taj Mahal gibt es keinerlei historische
Belege, es handelt sich um einen Mythos. Gut, sei es wie es
sei. Ein schwarzer Taj Mahal hätte die Schönheit seines weißen
Pendants ohnehin nicht erreicht.
Nach diesem Highlight fiel es ein wenig schwer, sich auf die
übrigen Sehenswürdigkeiten von Agra zu konzentrieren. Zudem
machte sich mit dem Verlassen des Taj Mahal auch ein wenig
Abschiedsstimmung breit, denn der Tag in Agra war unser
letzter "richtiger" Urlaubstag. Trotzdem muss man natürlich
das Agra Fort gesehen haben, wenn man schon einmal da
ist. Das Agra Fort verkörpert zwei Welten: Ursprünglich hatte
hier wieder Akhbar seine Finger im Spiel, der es als Trutzburg
erbauen ließ. Akhbar dachte eben zuallererst militärisch.
Nicht
zufällig sind seine Mauern 12m dick und 20m hoch. Und
natürlich verwendete er seinen geliebten roten Sandstein. Seine Nachfolger,
besonders Shah Jahan, präferierten hingegen weißen Marmor, und so ist es ein
Leichtes zu sagen, welche Bauten im Agra Fort von wem stammen.
Außerdem war Shah Jahan eher Kunst und Kultur als dem Militär
zugeneigt, seine An- und Ausbauten haben daher in erster Linie
repräsentativen Charakter. Die Fotos lassen den Mischmasch aus
weiß und rot ganz gut erkennen.
Der Hang zu den schönen Dingen des
Lebens sollte sich später für Shah Jahan lohnen, denn als sein
Sohn Aurangzeb ihn hier für die letzten Jahre seines Lebens
festsetzte, lebte er immerhin bei allem Komfort. Sogar ein
herrlicher Panoramablick auf seinen
Taj Mahal blieb Shah Jahan vergönnt. Das kleine Foto links von
seinem goldenen Käfig lässt den Taj Mahal hinter dem Fenster
allerdings nur erahnen. Leider herrschte bei unserer
Anwesenheit nämlich so dichter Smog, dass der Taj Mahal nur
schemenhaft im Nebel erkennbar war.
In Agra machten wir zum dritten Mal nach den Mandore Gardens
und den verlassenen Tempeln von Nagada die Erfahrung, dass
sich eine im Reiseführer unter "ferner liefen" beschriebene
Sehenswürdigkeit als echte Attraktion entpuppte. So geschehen
mit dem Jtimat-ud-Demla, einem kurz vor dem Taj Mahal
entstandenen Grabmal
(1622-1628), das für einen hohen Regierungsbeamten gebaut
wurde. Uns wurde es als "Mini-Taj" vorgestellt wurde.
Tatsächlich lässt sich eine gewisse Ähnlichkeit nicht leugnen, auch wenn
das Jtimat-ud-Demla wesentlich kleiner ist. Ähnlich gut
erhalten ist es auf jeden Fall, und die Parkanlage 'drumherum
ist nicht weniger einladend. Auch ein imposantes Eingangstor
hat man dem Verstorbenen gegönnt. Wir haben nachher gesagt,
dass dies das zweitschönste Gebäude auf der ganzen Reise war.
Unbedingt ansehen! Einziges Manko: Der Eintritt für Fremde war
20x so hoch wie für Inder. Das mag angesichts der Kaufkraft
nachvollziehbar sein, aber man fühlt sich doch ein wenig
diskriminiert, zumal man an jeder Ecke Trinkgelder gibt.
Auf der Rückfahrt von Agra nach Delhi lag unweit der Strecke
noch das Grabmal von Akhbar dem Großen. Nachdem wir auf
unserer Reise so viel von ihm gehört und gesehen hatten, war
es Ehrensache, ihm einen kurzen Besuch abzustatten. Das
eigentliche Highlight seines Mausoleums ist das Eingangsportal
(unten links), das mich ein wenig an eine Fabrik erinnert hat.
Das eigentliche Mausoleum (unten rechts) ist eher schlicht
gehalten und lohnt den nicht ganz billigen Eintritt nicht.
Zurück in Delhi hatten wir in 14
Tagen genau 2.500 km zurückgelegt (alles mit maximal
Tempo 80, wie gesagt), zahllose Tempel, Moscheen, Forts und
Paläste gesehen und Indien als ein ausgesprochen buntes,
lebendiges Land kennen gelernt. Natürlich gibt es auch
Schattenseiten wie Armut und mangelnde Infrastruktur, aber die
positiven Eindrücke überwiegen bei weitem. Neben den vielen
Sehenswürdigkeiten trugen das gute Wetter und vor allem die
unbeschreibliche indische Gastfreundschaft dazu bei, dass die
Reise nach Rajasthan uns unvergesslich bleiben wird.
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