Für unseren Geschmack ging die Route 66 so richtig erst hinter Oklahoma City los. Zuvor waren die Städte das Ziel, hinter Oklahoma City war es der Weg. Allerdings muss man wissen, dass genau parallel zur Route 66 die Interstate 40 (I-40) verläuft. Man hat also die Wahl, ob man auf einer einspurigen, in die Jahre gekommenen Piste mit 45-55mph (also maximal 90 km/h) durch verlassene Gegenden kriecht, oder auf einer modernen, mindestens zweispurigen Autobahn mit immerhin 70mph (gleich 120 km/h) fährt. Wir haben es überwiegend spontan entschieden, wobei die jeweils an dem Tag zur Verfügung stehende Zeit und die gebotene Landschaft eine wichtige Rolle spielten. Wenn es nichts zu sehen gibt und man es eilig hat, spricht aus unserer Sicht nichts gegen die Autobahn. Verspricht eine Etappe hingegen typisches Route-66-Feeling, möchte man es sich sicherlich nicht entgehen lassen, denn dafür ist man ja hergekommen.

 

Gerade weil es hinter Oklahoma City nicht mehr viel gibt, haben sich kleinere Städte wie Clinton und Elk City ganz auf die Route 66 eingestellt. In Clinton beispielsweise gibt es ein Route-66-Museum, das man gegen einen kleinen Obolus besichtigen kann. Es war genau wie man es sich vorstellt: Viele Fotos, ein paar alte Autos, jede Menge Schilder und vor allem ein großer Andenkenladen. Alles ganz nett gemacht.
 

Vor dem Museum parkte eine Gruppe von Bikern. Wir dachten: "Aha, jetzt geht es los mit den Motorradfreunden". Bis dahin hatten wir nämlich kaum welche gesehen. Weiter gewundert hatte uns dies bis dahin nicht, denn - wie gesagt - so richtig los geht es mit der großen Freiheit erst hinter Oklahoma City. Was wir nicht ahnten: Diese Gruppe sollte die einzige auf unserer ganzen Tour bleiben! Bis auf eine geführte Motorradtour mit Reiseleiter vorweg und Materialwagen hinterher (nichts gegen diese Leute, jeder soll reisen wie er mag, aber unseres Erachtens ist eine geführte Tour genau das Gegenteil des Route-66-Gedankens von Freiheit und Abenteuer) und drei oder vier einzelnen Motorrädern haben wir in knapp drei Wochen keine Biker gesehen! Wo sind die alle? Fahren sie die I-40? Oder gibt es sie einfach nicht mehr?
 

Wenn man auf Museen steht, kommt man auf diesem Stück der Route 66 auf seine Kosten. In Elk City gibt es eine noch deutlich größere Variante als in Clinton, dort hat man eine ganze Westernstadt nachgebaut. Dort verbrachten wir eine halbe Stunde mit dem Kauf von Briefmarken, denn für unsere Postkarten gab es im Museum keine. Wir mussten zum Supermarkt weiterfahren, wo man uns zunächst solche zu 44 Cent verkaufte. Mir kam das zu wenig vor, und tatsächlich, für Postkarten nach Deutschland müssen 90 Cent 'drauf. Nun war es an der Dame im Supermarkt, die Differenz von 90 zu 44 auszurechnen und uns eine entsprechende Menge von Briefmarken für drei Postkarten zu verkaufen. Das hat besagte halbe Stunde gedauert, und am Ende hielten wir einen ganzen Haufen Marken zu 44, 15, 6 und 3 Cent in den Händen. Aus diesen kann man zwar keine 90 Cent basteln, aber ich brachte es nicht über's Herz, der Dame dies nach 30 Minuten des Wartens noch zu erklären. Deshalb haben wir mit fünf Marken zu insgesamt 92 Cent frankiert, wobei die Marken am Ende zwei Drittel der Postkarte bedeckten. Ich hoffe, die Empfänger danken uns diesen Einsatz.


Amarillo, die nächste Station auf unserer Reise, liegt bereits in Texas. Das merkt man bereits am Ortseingang, denn dort wird man von der "Big Texan Steak Ranch" begrüßt.

Deren Hauptattraktion ist ein Steak zu 72oz, also in etwa 2kg Gewicht. Verputzt man es innerhalb einer Stunde mit Beilagen, geht es auf's Haus und man wird in einer Siegerliste verewigt. Schafft man es nicht, sind 55 Dollar fällig. Für diese Bestellung gibt es eigene Tische mit einer Stoppuhr auf einer Bühne. Man kann aber auch normal essen, jedenfalls nehmen wir das an, denn wir wurden in diesem Steakhaus nicht bedient! Ständig liefen Kellner an unserem Tisch vorbei, und als wir nach einer Viertelstunde und drei "Kollege kommt gleich" noch immer keine Speisekarte hatten, sind wir aufgestanden. Zum Glück, wie ich betonen möchte, denn in Amarillo gibt es ein geniales Outback Steak House. Ich habe ja schon bei anderer Gelegenheit auf diese Steakhauskette aufmerksam gemacht, und kann nur wiederholen: Nachdem wir zahlreiche Steakhäuser in den USA getestet haben, bleibt nur die Erkenntnis, dass Outback in einer eigenen Liga spielt. Dort kann man ein wirklich hervorragendes Filetsteak mit zwei Beilagen für 9,99 Dollar (das sind 6 Euro) essen. Typische US-Atmosphäre gibt es gratis dazu, ebenso eine leckere Vorspeise.
 

Amarillo profitiert wie vielleicht keine zweite Stadt auf der Welt von der populären Musik. Hätte nicht Tony Christie diesen Ort so schwungvoll besungen, würde ihn in Europa wohl kein Mensch kennen, und hätte nicht Bruce Springsteen die Cadillac Ranch in einem Song verewigt, hätten wir sie wohl kaum bemerkt. Und das wäre sehr schade gewesen. In einiger Entfernung zur I-40 hat man 1974 mitten auf einem Acker zehn alte Cadillacs (Baujahre 1948-1963) mit der Motorhaube voran in die Erde gerammt. Die Autos sind von Besuchern über und über mit Graffiti zugesprayt worden, was für die Künstler zunächst ein Ärgernis war, mittlerweile aber Teil des Kunstwerks ist. Das Gesamtensemble sieht beeindruckend und skurril zugleich aus.

Was man auf den Fotos nicht bzw. nur ansatzweise sieht, sind die dreihundert leeren Sprühdosen, die dort überall herumliegen. Auch hier wieder: Muss das sein? Die Cadillac Ranch ist eine der Hauptattraktionen von Amarillo, könnte die Stadtverwaltung da nicht einen Wagen mit zwei Mann hinschicken, um zweimal in der Woche morgens den Müll einzusammeln?
 


Hinter Amarillo folgen eine Reihe weiterer Städtchen, die ihre Existenz der Route 66 verdanken und sich verzweifelt an selbige klammern, obwohl die I-40 längst die Funktion der Hauptschlagader zwischen Ost und West übernommen hat. Deshalb lässt sich jeder Ort etwas einfallen, um die Autos von der I-40 herunterzulocken. Adrian beispielsweise wirbt damit, genau den Mittelpunkt der Route 66 zu markieren. Natürlich braucht man von dem entsprechenden Schild ein Foto, und natürlich muss man dafür in den Ort fahren. Diese Weltsensation hat Adrian übrigens nicht wirklich geholfen. Uns schien der Ort recht verlassen zu sein, mehr als eine heruntergekommene Tankstelle, ein Motel und ein Fastfood-Restaurant gibt es dort nicht mehr.
 

Noch härter hat es Glenrio getroffen, das wirklich zur Geisterstadt verkommen ist. Es ist schon ein eigenartiges Gefühl, dort durch die verlassenen Häuser zu schlendern und die Überreste menschlicher Zivilisation in Augenschein zu nehmen. Ganz im Gegensatz zu Calico Ghost Town, auf das ich später noch eingehen werde, handelt es sich bei Glenrio um eine echte, d.h. unberührte und nicht für den Tourismus aufgemotzte Geisterstadt. Wir waren offenbar nicht die Einzigen, die von der Atmosphäre dort beeindruckt waren, denn ein Foto von Glenrio hat es sogar auf das Cover eines Route-66-Reiseführers geschafft.

Besser gehalten hat sich Tucumcari, das schon in New Mexico liegt. Ebenfalls ganz auf Route 66 getrimmt, gibt es dort einige besonders schöne Fotomotive, wie das "Blue Swallow Motel", das ebenfalls in nicht wenigen Reiseführern abgelichtet ist. Den Rest von Tucumcari muss man sich ähnlich bunt vorstellen.

Der Besitzer des "Blue Swallow" war ausgesprochen freundlich und unterhielt sich lange mit uns. Wie fast jeder Amerikaner hatte er irgend eine Beziehung zu Deutschland vorzuweisen, wobei die meisten Verbindungen - so auch in seinem Fall - mit dem Militär zusammenhängen. Direkt gegenüber liegt übrigens ein großer und vergleichsweise preisgünstiger Andenkenladen.