"Poor Niagara". Eleanor Roosevelt sprach aus, was mir
spontan durch den Kopf ging, als ich zum ersten Mal auf die
Wasserfälle von Iguazú blickte. Ich war beeindruckt, ja
gefangen von der Majestät dieses Naturschauspiels. Und das
trotz widrigster Umstände, denn erstens waren wir nach dem
ewig verspäteten Flug von Buenos Aires nach Iguazú ziemlich
müde (mit einer Ausnahme waren übrigens alle Flüge
während unserer Reise verspätet), und zweitens schlug das
Wetter um. Zwei Wochen lang hatten wir nichts als Sonne, aber
ausgerechnet in Brasilien ließ sie sich nur noch sporadisch
sehen.
Argentinische Seite
Wobei, Vorsicht: In Brasilien waren wir zunächst noch gar
nicht. Iguazú liegt nämlich genau auf der Grenze, und zuerst
besichtigten wir den argentinischen Teil der Fälle.
Ähnlich wie in Machu Picchu muss man das letzte Stück mit der
Bahn fahren, wenngleich bei weitem nicht so weit, nur drei
Kilometer. Dann steht man vor dem Eingang zum Nationalpark.
Von den Fällen ist dort noch nichts zu sehen, man muss erst
noch einen Kilometer über einen Holzsteg laufen, der quer
über's Wasser führt, bevor man die Fälle erreicht. Ähnlich wie
in Niagara hört man sie zuerst (tosendes Wasser macht
unglaublichen Lärm), dann spürt man sie (Wassertröpfchen
überall), dann erst sieht man sie.
Der Vergleich von Iguazú und Niagara drängt sich vor allem
deshalb auf, weil es sich um die beiden berühmtesten
Wasserfälle der Erde handelt. Eigentlich ist er aber unfair,
denn die Fälle von Iguazú sind 2,7km lang, die
US-Niagarafälle erstrecken sich auf kaum mehr als 300 Meter.
Nimmt man den kanadischen Teil hinzu, kommen sie gerade auf
eine Kantenlänge von einem Kilometer, also ca. ein Drittel der
Iguazúfälle.
Was man auch nicht vergessen darf: Die Niagarafälle sind total
zugebaut, sie liegen quasi mitten in der Stadt. Die
Iguazúfälle sind hingegen vom Urwald umgeben. Dadurch wirken
sie wesentlich natürlicher.
Brasilianische Seite
Argentinien hat den weitaus größten Teil der Fälle abbekommen,
aber von der brasilianischen Seite aus kann man sie
besser sehen. Deshalb stammen auch alle Bilder auf dieser
Seite mit Ausnahme des Bildes unmittelbar über diesem Absatz
von der brasilianischen Seite. Zuerst hatten wir überlegt, ob
wir überhaupt losgehen sollten, weil es an diesem zweiten Tag
unseres Aufenthalts in Strömen regnete. Nachher waren
wir aber heilfroh es getan zu haben, denn - obwohl Sonne
sicherlich besser gewesen wäre - auch im Regen hatten wir
unseren Spaß, eingehüllt in unsere Ponchos und trotzdem nass
bis auf die letzte Faser!
Ausdrücklich loben muss man die touristischen Anlagen. Die
Stege und Wege sind so harmonisch in die Landschaft integriert
wie es nur irgendwie geht, und dennoch ermöglichen sie ein
echtes "Erleben" (nicht nur Sehen) der Fälle. Man ist
praktisch mittendrin, kann förmlich über das Wasser laufen,
drei Meter neben der Kante stehen, über die unglaubliche
Wassermassen hinweg brechen, und von zahllosen
Aussichtspunkten aus immer neue Blicke auf die Fälle werfen.
Unbedingt zu empfehlen sind die Garganta del Diablo,
die man erreicht, wenn man mit der Bahn bis zur Endstation "Estacion
Garganta" durchfährt, und der Circutio Superior, ein
Rundweg ab der Mittelstation "Estacion Cataratas".
Im Rahmen dieses Reiseberichts war ja bereits einige Male von
verspäteten Flügen die Rede. Zwölf Stunden bei der
Anreise waren schon nicht schlecht, aber was wir am Flughafen
in Iguazú erlebten, übertraf alles. Zuerst einmal saßen wir
ohne jede Begründung zwei Stunden nach dem geplanten Abflug
noch immer in der Flughafenlobby. Null Informationen. Dann
hieß es, das Boarding könne nun beginnen, man habe einen
technischen Defekt an der Maschine festgestellt, daher die
Verzögerung. Als die Maschine dann auf der Startbahn stand,
kam plötzlich eine Ansage vom Piloten, wir müssten alle wieder
'raus, der technische Defekt sei doch nicht behoben. Das muss
man sich einmal vorstellen: Die Techniker hätten uns
tatsächlich mit einer nicht flugtauglichen Maschine abheben
lassen! Jedenfalls mussten wir wieder alle in die Lobby. Genau
dieses Spielchen wiederholte sich dann noch einmal. Beim
dritten Versuch war ich kurz davor, nicht mehr mitfliegen zu
wollen. Ich habe es schließlich doch getan, und dass
ich jetzt diesen Bericht tippen kann zeigt, dass am Ende alles
gut gegangen ist. Also, was sind schon vier Stunden
Verspätung?
Entschädigt wurden wir allerdings durch unseren Reiseleiter in
Rio, Alex, der ebenso wie wir vier Stunden am Flughafen
warten musste und dann noch das Vergnügen hatte, zwei Gäste in
Empfang nehmen zu müssen, denen die Strapazen der Anreise
deutlich anzumerken waren, um es einmal ganz, ganz
vorsichtig auszudrücken. Trotzdem blieb er immer nett und
freundlich. Dass er darüber hinaus sehr kompetent war, gut
organisieren konnte und hervorragend deutsch sprach, machte
die zwei Tage mit ihm zu einem reinen Vergnügen. Nochmals
Danke für alles, Alex.
Cristo Redentor
Am nächsten Morgen führte unser erster Weg vom Hotel an der
Copacabana auf den Corcovado am Stadtrand, auf dem sich
das Wahrzeichen von Rio de Janeiro befindet:
Wie bereits oben erwähnt, haben
Städte wie Cusco und Lissabon sich Cristo Redentor
(Christus den Erlöser) zum Vorbild genommen, aber keine Kopie
erreicht das Original, weder an Größe (30m Höhe zzgl. 8m
Sockel) noch an Ausstrahlung. Seit 70 Jahren wacht die Statue
nun schon über Rio, kurz vor unserem Eintreffen wurde sie
frisch renoviert.
Übrigens müsste man selbst dann
auf den Corcovado, wenn es Cristo Redentor nicht gäbe, denn
vom Gipfel aus hat man einen überwältigenden Blick auf Rio und
den legendären "Zuckerhut". Die Kunst besteht darin,
gutes Wetter zu erwischen, denn obwohl der Corcovado "nur"
710m hoch ist, hüllen vielfach Wolken den Gipfel und damit
auch die Statue ein. Nicht selten sieht man von Rio dann gar
nichts. Zum Glück war es bei unserer Anwesenheit nicht ganz so
schlimm, aber es war doch recht diesig. Normalzustand, wie
gesagt, kein Grund zur Klage also.
Karneval in Rio
Was kennt man von Rio außer der Christusstatue noch, selbst
wenn man ansonsten keine Ahnung hat? Den Karneval
natürlich! Hierzu muss man wissen, dass es zahllose
Karnevalschulen gibt, in denen man sich ein ganzes Jahr lang
auf den einen Auftritt vorbereitet. Im Sambodromo
findet unter den führenden Schulen alljährlich ein Wettbewerb
statt. Will man diesen gewinnen, muss man schon allein für die
Kostüme Millionen investieren. Man bekommt aber auch eine
Menge wieder 'rein, z.B. über Fernsehgelder. Karneval in Rio
ist also auch ein großes Geschäft.
Ohne Menschen wirkte das
Sambodromo kahl und verlassen - nur eine Tribüne aus Beton.
Wie es dort an den tollen Tagen zugeht, ließen allerdings
Videoclips im örtlichen Andenken-Shop erahnen. Wir haben
gelernt, dass sich der Karneval zwischenzeitlich von seinen
Anfängen auf der Straße entfernt hatte und zunehmend in den
Schulen stattfand, sich dieser Trend in den letzten Jahren
aber wieder umgekehrt hat.
Escadaria Selarón
Eine vielleicht nicht auf jedem Zettel stehende, aber in jedem
Fall lohnende Attraktion ist die Escadaria Selarón. Der
Künstler
Selarón hat auf einer öffentlichen Treppe in Santa
Teresa ca. 20.000 Kacheln auf 250 Stufen angebracht. Er
lebt und arbeitet an der Treppe, die er als Kunstwerk
bezeichnet, das erst mit seinem Tod fertig sein wird. Die
Kacheln stammen aus aller Herren Länder, und sicherlich könnte
man einen ganzen Tag an der Treppe auf der Suche nach immer
neuen Motiven verbringen. Wir fanden die Treppe jedenfalls
super.
Übrigens scheint Kollege Selarón
einen leichten Dachschaden zu haben, denn er läuft herum wie
Dali und hält sich nach eigenem Bekunden für bedeutender als
Michelangelo... Aber okay, geschenkt, das gehört wohl dazu,
wenn man ein solches Kunstwerk schaffen will. Bei uns würde
das Ordnungsamt wahrscheinlich nach der dritten Fliese ein
Bußgeld verhängen und nach der fünften den Abriss verfügen
(wie gesagt, es handelt sich um eine öffentliche
Treppe), aber in Rio hat es keinen gejuckt, und nun haben sie
eine tolle Attraktion mehr im Stadtbild.
Kathedrale
"So, und jetzt fahren wir zur Kathedrale", ließ Alex
verlauten. Großes Gestöhne bei uns - noch eine Kathedrale!
Jeder, aber nun wirklich jeder Ort auf unserer Reise hatte
eine Kathedrale aus der spanischen (bzw. in Brasilien:
portugiesischen) Kolonialzeit zu bieten, und so interessant
jede einzelne von ihnen sein mag, nach gefühlten drei Dutzend
ist es irgendwann gut! Unsere Reaktion zeigte allerdings nur,
dass wir überhaupt keine Ahnung hatten, denn die Kathedrale
von Rio ist einfach nur cool, und von einem spanischen
portugiesischen Kolonialbau so weit entfernt wie
Hundertwasser von den
Pyramiden!
Noch spektakulärer als das Äußere
dieses Kühlturms, von dem niemand annehmen würde, dass es sich
tatsächlich um eine geweihte Kirche handelt, ist das Innere.
Riesige Glasfenster, in vier verschiedenen Grundfarben
gehalten, laufen auf ein zentrales Kreuz in der Deckenmitte
zu. Natürlich wird es nicht jedem gefallen, aber zumindest
dürfte diese Kathedrale einmalig sein.
Centro
Zum Mittagessen waren wir im Café Colombo, dem
brasilianischen Äquivalent zum Café Tortoni in Buenos Aires,
nur dass man uns hier nicht abwies, sondern freundlich
durchwinkte. Am Nebentisch saß übrigens
Willi Lemke, der
- obwohl nicht angesprochen - uns als Deutsche erkannte und
uns freundlich einen schönen Aufenthalt wünschte.
Frisch gestärkt machten wir uns auf einen Rundgang durch das
Zentrum von Rio, das einige schöne Gebäude wie das Theatro
Municipal (Bild unten links) oder die Candelaria-Church
mit ihrer schwarzen Madonna zu bieten hat. Uns hat aber ein
kleines, eigentlich recht unscheinbares Gässchen am besten
gefallen, in dem zwischen schönen alten Häusern aus der
Kolonialzeit kleine Restaurants Speisen und Getränke anboten.
Wären wir nicht gerade aus dem Café Colombo gekommen, hätten
wir hier sicherlich eine Weile gesessen und eine Mahlzeit zu
uns genommen.
Was wir nicht wussten: Brasilien
verdankt seinen Namen einem Baum. Das Adjektiv "brasil"
bedeutet im Portugiesischen "glutartig" und bezieht sich auf
das Holz des Brasilholz-Baumes, das geschnitten rot
leuchtet und in Europa zum Färben von Stoffen benutzt wurde.
Brasilholz war der erste Exportartikel Brasiliens und daher
besonders wichtig für die Wirtschaft der ehemaligen Kolonie.
Heute gilt der Brasilholz-Baum als biologisch ausgestorben,
nur noch wenige einzelne Exemplare gibt es, darunter das oben
abgebildete mitten in Rio.
Zuckerhut
Am Ende des Tages
sollte noch ein echtes Highlight folgen, das gleichzeitig den
Abschluss unserer Reise bedeutete: Ein Ausflug zum berühmten
Zuckerhut (portugiesisch Pão de Açúcar, also
eigentlich mit "Zuckerbrot" zu übersetzen) in der
Guanabara-Bucht vor Rio de Janeiro. Eine Seilbahn führt
bequem hinauf.
Von oben bietet sich ein
atemberaubender Blick über die Bucht auf Rio und den
Corcovado im Hintergrund, also genau die entgegen gesetzte
Perspektive wie von der Christusstatue aus (wenn man ganz
genau hinsieht, erkennt man den Corcovado und sogar Cristo
Redentor auf dem nachstehenden Bild ganz links im
Hintergrund). Leider spielte hier das Wetter nicht so richtig
mit, es war zwar trocken und warm, aber doch arg diesig.
Übrigens hätte es sich vielleicht angeboten, die Reihenfolge
umzukehren und morgens auf den Zuckerhut zu fahren und gegen
Abend zur Christusstatue, denn dann hätte man das Licht
jeweils von hinten gehabt und nicht gegen die untergehende
Sonne fotografieren müssen.
Jedenfalls ging mit diesem
Programmpunkt (fast) auch schon unsere Rundreise zu Ende. Am
Abend stand noch ein leckeres Essen in einem typisch
brasilianischen Barbecue-Restaurant an, in dem laufend
Proben diverser Fleischsorten an den Tisch gebracht wurden,
wobei man dem Kellner mit einer Ampelkarte "Nachschub" (grün)
oder "Stopp" (rot) signalisierte. Am nächsten Tag ging dann
schon der Flieger zurück nach good old Germany.
Fazit
Ein Fazit zu ziehen fällt bei dieser Reise nicht leicht. Man
kann nicht in zwei Sätzen sagen, wie Südamerika nun ist.
Bestimmt wäre es auch ein Fehler, Peru, Bolivien, Argentinien
und Brasilien über einen Kamm zu scheren. Dennoch fällt
manches sofort auf, wie etwa der iberische Einfluss auf
Sprache, Kultur, Architektur und Mentalität. Besonders die
großen Städte wie Buenos Aires und Rio de Janeiro sind viel
europäischer als ich sie mir vorgestellt hatte. Anderes
entpuppte sich als Vorurteil, wie etwa die angeblich
grassierende Kriminalität, von der man in Wahrheit als Tourist
nichts zu befürchten hat, wenn man nicht gerade mit der
Rolex am Arm durch die Favelas rennt. Manches stimmte aber
auch, zum Beispiel die notorische Unpünktlichkeit im
Transport, vor allem im Flugverkehr und z.T. auch bei unseren
Fahrern (ausdrücklich nicht bei den Guides). Man muss
also auch mal ein Auge zudrücken und die Dinge so nehmen wie
sie sind. Ist man dazu bereit, kann man in Südamerika viel
sehen, viel lernen und viel Spaß haben.
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