Anreise
Der Ausflug nach Abu Simbel ist die ultimative
Herausforderung für jeden Ägypten-Urlauber. Der Ort
ist nur mit dem Bus oder per Flugzeug zu erreichen,
wobei letzteres mehr als doppelt so teuer ist und
inklusive der Transfers und Wartezeiten sogar länger
dauert als die zweieinhalbstündige Busfahrt. Auf
unserer Reise wurde daher ausschließlich diese
angeboten. Der Haken bei der Sache ist, dass die Busse
aus Sicherheitsgründen nur im Konvoi nach Abu Simbel
fahren. Die Strecke geht mitten durch die Wüste, und
wenn man da allein eine Panne hätte... Und unser Konvoi
traf sich an einem zentralen Platz in Assuan bereits um
4.30 Uhr morgens. Das hat den Vorteil, dass man so gegen
7 Uhr vor Ort ist, also vor den Horden anderer
Touristen. Das ist hier besonders wichtig, da die Tempel
nur eine begrenzte Aufnahmekapazität haben. Der
Nachteil liegt mit der kurzen Nacht natürlich auf der
Hand, aber es ging im Nachhinein erstaunlich gut.
Tempel
Ramses II.
Ramses II. war der wohl
bedeutendste Pharao Ägyptens überhaupt. Er regierte
über 60 Jahre und schuf in dieser Zeit viele
Baudenkmäler, mit denen
er sich unsterblich machte. Sein Meisterstück ist aber
zweifellos der Felsentempel von Abu Simbel, der im 13.
Jahrhundert v.Chr. entstand. Ähnlich wie beim Tempel von
Hatschepsut handelt es sich
nicht um ein Gebäude, sondern um eine in den Berg
gehauene Anlage. Der Tempel ist insofern bemerkenswert,
als Ramses II. sich in ihm selbst huldigt, sich also
quasi selbst zum Gott erhebt. Davon zeugen schon die vier
Megakolosse Ramses II. neben dem Eingang, die ihn mit
der Doppelkrone von Ober- und Unterägypten
zeigen.
Im Inneren befinden sich mehrere Räume, die nach und
nach ins Allerheiligste führen, wobei sie immer
kleiner werden und der Fußboden merklich ansteigt. In
der ersten Halle stehen acht Kolosse Ramses II.,
jeder von ihnen zehn Meter hoch. Sie zeigen ihn in der
Gestalt des Osiris, ein erneuter Hinweis auf seine
Gleichsetzung mit den Göttern. Die Wände berichten vom
glorreichen Sieg Ramses II. in der Kadesch-Schlacht
über die Hethiter, wie er - von seinen Truppen
verlassen - im Alleingang den übermächtigen Feind
zurückschlug. Tatsächlich hat es diesen Sieg übrigens
nicht gegeben: Ramses II. tappte in einen Hinterhalt,
und nur der Einbruch der Dunkelheit ermöglichte ihm und
seiner Elitetruppe einen einigermaßen geordneten Rückzug. Die
Schlacht bei Kadesch endete wie der ganze Konflikt in
einem Patt.
Sonnenwunder
Im Allerheiligsten schließlich sitzen 4 Gestalten, von
links nach rechts die Götter Ptah
und Amun, dann Ramses II.,
dann der Gott Re-Harachte.
Die dritte und eindeutigste Gleichsetzung Ramses II. mit
den Göttern. Diese Anordnung ist ebenso wie die gesamte
Ausrichtung des Tempels natürlich kein Zufall. Am 21.
Februar und am 21. Oktober fielen nämlich die
Sonnenstrahlen so in den Tempel, dass die Statuen Amuns,
Ramses II. und Re-Harachtes für einige Minuten
angestrahlt wurden. Diese waren damals mit Gold
verziert, so dass sie die Sonnenstrahlen aus dem Tempel
zurück warfen. Ptah wurde nicht angestrahlt.
Die Erklärung dafür ist denkbar einfach - er galt als Schattengott!
Dieses "Sonnenwunder" von Abu Simbel muss
einfach irre ausgesehen haben.
Dass es wirklich ein Wunder und nicht nur ein netter
Effekt ist, wird
vielleicht erst auf den zweiten Blick deutlich. Man muss
nämlich wissen, dass der 21. Februar und der 21.
Oktober den Geburts- bzw. Krönungstag Ramses II.
darstellten (nach ägyptischem Kalender natürlich). Es
gab in ganz Ägypten keinen anderen Platz und keine
andere Ausrichtung des Tempels, der eine solche
Sonneneinstrahlung gerade an diesen beiden Tagen
ermöglichte. Wie aber konnten die Ägypter wissen, wo
in ihrem riesigen Land wann die Sonne so scheint, dass
dieser Effekt möglich ist? Man frage sich einmal, wo
auf der Erde dieser Effekt z.B. mit dem eigenen Geburts-
und Namenstag möglich ist und - falls man es nicht
weiß - wie man es herausfinden könnte, genauer gesagt
mit den Mitteln der alten Ägypter herausfinden könnte.
Bis heute kann das niemand erklären. Wie bei einem
Wunder eben.
Die Versetzung des Tempels nach 1960 (siehe unten) hat
übrigens dazu geführt, dass das Sonnenwunder jetzt am
22. Februar und 22. Oktober stattfindet, also einen Tag
später. Wir waren zufällig am 28.2. dort, also
eigentlich sechs Tage zu spät, aber wenigstens genau
zur richtigen Tageszeit, und so ist mir noch ein (in
aller Bescheidenheit) recht gutes Bild des Effekts
gelungen. Dazu eine Anmerkung in eigener Sache: Das
Fotografieren war wegen des schädlichen Blitzlichts
eigentlich streng verboten, und mir ist der Hinweis
wichtig, dass ich zwar trotzdem ein Foto gemacht, das
Verbot aber gleichwohl respektiert und nicht geblitzt
habe. Der Lichtkegel auf dem Foto unten ist also reines
Sonnenlicht, kein Blitz.
Nefertari-Tempel
Ein
früher Ausdruck von Gleichberechtigung ist der Tempel
von Königin Nefertari, den
Ramses II. gleich neben seinem errichten ließ. Auch sie setzte er mit den Göttern gleich, in ihrem
Fall mit der Liebesgöttin Hathor. Glück für
Nefertari, denn Hathor wird
immer mit Kuhohren dargestellt (Bild), und deshalb wirkt
Nefertari neben ihr umso schöner. Ohnehin wird ihr
nachgesagt, die schönste Frau gewesen zu sein, die
Ägypten jemals hervorgebracht hat. Kleopatra
eingeschlossen.
Der Tempel ist zwar deutlich kleiner als der Tempel Ramses
II., für sich genommen aber trotzdem sehr groß.
Blickfang ist die Fassade mit sechs Standbildern, drei
von Nefertari und drei von Rames II. Ihre Kolosse sind
gleich groß, was äußerst bemerkenswert ist, denn
niemand stand sonst mit dem Pharao auf einer Stufe. Das
Innere ist ähnlich konzipiert wie im Ramses-Tempel,
also mehrere zum Allerheiligsten führende Räume, die
nach und nach kleiner werden.
Geschichte
Die Tempelanlage ist wahrscheinlich deshalb so gut
erhalten, weil sie nach dem Tod Ramses II. nicht mehr
genutzt wurde, relativ schnell in Vergessenheit geriet
und im Laufe der Zeit vollständig mit Sand bedeckt
wurde. Als Wiederentdecker wird üblicherweise der
Schweizer Jean Louis Bruckhardt gefeiert, der 1813 auf
vier riesige, aus dem Sand herausragende Gestalten
stieß. Den entscheidenden Hinweis dazu gab ihm aber ein
junger nubischer Ziegenhirte. Wie hieß der wohl?
Richtig, Abu Simbel. Ab 1817 wurde der Tempel dann
freigelegt.
Einmal drohte ihm noch Gefahr, nämlich durch den
Hochdamm bzw. den Nassersee, und die Ägypter hätten
ihn wohl wirklich absaufen lassen, wenn sich nicht die
Völkergemeinschaft aufgerafft hätte, diesen einmalige
Kulturschatz mit viel Geld und Fachwissen zu retten.
Genau wie der Philae-Tempel wurde er komplett zersägt
und versetzt, übrigens unter entscheidender Mithilfe
deutscher Ingenieure. Die Arbeit hier war natürlich
ungleich aufwendiger als beim Philae-Tempel, denn der
Ramses-Tempel war ja in den Fels gemeißelt. Man musste
zu seiner Rettung also den Berg abtragen! Über tausend bis zu 30 Tonnen
schwere Brocken wurden letztendlich bewegt. Noch dazu
gab es einen Wettlauf gegen die Uhr, denn die Ägypter
bauten parallel fleißig weiter an ihrem Staudamm. Aber
es ging alles gut, und der Tempel fand seine neue Heimat
rechtzeitig an einem höher gelegenen Ort. Ebenso
natürlich der Nefertari-Tempel neben ihm.
Fazit
Wir waren beide von Abu Simbel restlos begeistert. Neben
den Pyramiden von Gizeh war dies der Höhepunkt der
Reise, und wir können nur jedem empfehlen, den Ausflug
trotz der gottlos frühen, recht beschwerlichen und mit
85 Euro pro Nase auch nicht gerade günstigen Reise zu
buchen. Man kann die Geschichte förmlich mit den
Händen greifen und ist fassungslos im Angesicht der
Leistung, die mit der Errichtung dieses Tempels
vollbracht wurde.
Rückreise
und Flug nach Kairo
Auf der Rückfahrt nach Assuan gab es übrigens eine
echte Fata Morgana zu beobachten, wobei ich sagen muss,
dass ich mir diese spannender vorgestellt habe. Sie
ähnelt sehr stark dem, was man bei uns auf feuchter
Straße bei direkter Sonneneinstrahlung beobachten kann:
Ein starkes Flimmern. Okay, man kann es mit viel
Phantasie für eine fiktive Wasserquelle halten, das
stimmt schon.
Der Bus fuhr direkt zum Flughafen Assuan, von dem aus
Egypt Air uns in einer Stunde nach Kairo flog. Der Flug
war unproblematisch, aber das Geschehen am Flughafen
gibt mir die Gelegenheit, kurz die ägyptische ars
vivendi zu beleuchten. Es galt, die vielleicht 50 Koffer
von 30 Touristen aus einem Bus in die 15 Meter von der
Haltestelle entfernte Schalterhalle zu bringen. Bei uns
hätte sich jeder seine Koffer geschnappt und sie in die
Halle gebracht - Thema durch. Vielleicht wären auch
zwei Kofferträger gekommen, die die Koffer auf einen
Wagen geladen und abtransportiert hätten - Thema
ebenfalls durch. Nicht so in Ägypten. Hier kamen
geschätzte 15 potenzielle Kofferträger. Nur trugen die
keine Koffer, sondern berieten erst einmal mit lautem
Palaver, was zu tun sei. Gelegentlich nahm einer einen
Koffer aus dem Bus und stellte ihn auf den Bürgersteig,
wo er zusätzlich zu uns, die wir ratlos daneben
standen, die übrigen Passanten blockierte.
Anschließend wieder Palaver. Einige Koffer wurden auch
tatsächlich in die Halle getragen, andere blieben ganz
im Bus. Keiner wusste, wohin die Koffer in der Halle
gebracht wurden, denn man durfte seinen Koffer nicht
begleiten, vielmehr sollte die Gruppe gemeinsam durch
die Sicherheitskontrolle am Eingang gehen. Nach einer
Viertelstunde wurde es einigen Mitreisenden zu bunt, die
ihre Koffer doch selbst nahmen und in die Halle
brachten. Ich tat es ihnen unverzüglich gleich. In der
Halle angekommen verlangte ein uniformierter Herr von
mir, dass ich den Koffer wieder abstelle, damit ein
Kofferträger ihn zur Gepäckaufgabe bringen könne, die
sich vielleicht fünfzehn Meter vom Eingang und fünf
Meter von meiner Position entfernt befand. Dieses
"Angebot" habe ich höflich aber bestimmt
abgelehnt und den Koffer selbst aufgegeben - und siehe
da, das Problem war gelöst.
Noch besser war dann die Übergabe des Lunchpakets, das
uns in den Flughafen geliefert wurde. Die Ägypter
ließen zunächst jedes der gut 30 Lunchpakete einzeln
über das Kontrollband laufen und legten sie dann
hinter der Kontrolle auf dem Boden ab. Sodann kamen
professionelle Lunchpaketstapler herbei, vielleicht
fünf oder sechs, die sie vom Boden auf einen
nachträglich herbei gebrachten, viel zu kleinen
Einkaufswagen hievten. Professionelle
Lunchpaketzusteller, wieder fünf oder sechs, schoben
diesen Einkaufswagen dann unter Blut, Schweiß und
Tränen (und natürlich jeder Menge Palaver) die
vielleicht 30 Meter von der Kontrolle zu unserem
Wartesaal herüber und verteilten dann die Pakete. Aber
nicht an uns, sondern zunächst an fünf oder sechs
professionelle Lunchpaketausgeber, die sie dann endlich
an uns weiterreichten. Ein Schauspiel, aus dem Loriot
einen ganzen Film hätte drehen können. Wir nahmen es
natürlich gelassen und amüsiert hin - schließlich
waren wir im Urlaub.
Bilder:
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