Der Besuch in St.
Petersburg war, wie eingangs erwähnt, der eigentliche Anlass für
diese Kreuzfahrt. Insofern passte es, dass die zweitgrößte Stadt
Russlands als Höhepunkt den Abschluss der Reise bildete. Und um es
vorweg zu nehmen: St. Petersburg ist tatsächlich eine Stadt mit
einmaligen Sehenswürdigkeiten. Allerdings ist sie für westliche
Touristen nicht eben leicht zugänglich. Wenn man sich nicht gerade
innerhalb einer Gruppe bewegen will, benötigt man nämlich ein
Individualvisum, das recht teuer und recht umständlich zu
beschaffen ist. Für lediglich einen Tag erschien uns dieser Aufwand
ein wenig übertrieben, ganz abgesehen davon, dass in der (ansonsten
sehr ausführlichen) Reisebeschreibung von Costa jeder Hinweis auf
die Visumpflicht fehlte, wir von jener also erst erfuhren, als es
schon zu spät war.
Man darf ohne Individualvisum das Schiff nur in einer Gruppe
verlassen, also im Rahmen eines vorab über Costa gebuchten Ausflugs
(was auch erklärt, warum Costa nicht auf die Visumpflicht hinweist).
Wir hatten - wie die vorstehenden Ausführungen hoffentlich zeigen -
bisher immer alles auf eigene Faust erkundet, weil man dabei erstens
freier ist, zweitens mehr sieht, drittens nicht vor jedem Klo eine
halbe Stunde warten muss und viertens für weitaus mehr Komfort
weitaus weniger bezahlt. Die Taxifahrten in Kopenhagen
beispielsweise haben uns zusammen 20 Euro gekostet, eine Bustour in
der Gruppe mit Costa hätte über 50 Euro gekostet - und zwar pro
Person! In St. Petersburg ist "auf eigene Faust" aber völlig
unmöglich. Selbst wenn man sich vorher ein Visum besorgt hätte,
stünde man vor dem Problem, dass es in dem Industriehafen, wo die
großen Kreuzfahrer ankern, keine Taxen gibt (was natürlich Absicht
ist). Also käme man nicht vom Schiff. Zu Fuß wäre erstens viel zu
weit, und zweitens möchte kein westlicher Tourist mit einem Funken
Verstand allein durch einen russischen Hafen laufen. Also:
Gruppentour mit Costa! Alternativ hätte man allenfalls einen
Drittanbieter über das Internet buchen können, aber das wäre erstens
auch eine Gruppenreise gewesen, hätte zweitens mehr gekostet und
wäre drittens auch mit der Unsicherheit behaftet gewesen, ob
zeitlich alles klappt.
Hat man sich einmal dazu durchgerungen, einen dieser überteuerten
Landausflüge zu buchen, stellt sich sofort die alles entscheidende
nächste Frage: Welchen? An einem Tag in St. Petersburg kann man
unmöglich alles sehen. Der Katharinenpalast mit der
Nachbildung des Bernstein-zimmers liegt beispielsweise in
Puschkin, eine gute Stunde außerhalb; allein seine Besichtigung
kostet also schon einen halben Tag. Und wer die Eremitage
(Bild oben: der Winterpalast, das größte und schönste Gebäude
der Eremitage, flüchtig im Vorbeifahren fotografiert) ganz sehen
will, benötigt für die gut 60.000 Exponate wahrscheinlich einen
Monat. Wir entschieden uns daher für eine vierstündige
Stadtrundfahrt, in der wir komprimiert jedenfalls die erreichbaren
Hauptattraktionen zu sehen bekommen würden. Dachten wir.
Zu den Hauptattraktionen gehört sicherlich die
Peter-und-Paul-Festung mit der Peter-und-Paul-Kathedrale
in ihrer Mitte. Die markante goldene Spitze gibt ihr eine Höhe von
knapp über 100m. Bis wir dort ankamen, mussten wir allerdings eine
Stunde mit Einreiseformalitäten und anschließendem Warten auf die
übrigen Mitreisenden im (nicht klimatisierten) Bus verbringen. Eine
weitere Stunde standen wir im Verkehrsstau, der in St. Petersburg
wohl alltäglich ist.
Jedenfalls liegen in der Peter-und-Paul-Kathedrale mit Ausnahme von
Peter II. alle Zaren der Romanov-Dynastie begraben. Der Sarg
von Stadtgründer Peter I. ("der Große" genannt) befindet sich
im nachstehenden Bild hinten rechts, mit der Büste am Fußende. Neben
ihm liegt seine Ehefrau Katharina I. (nicht zu verwechseln mit
"Katharina der Großen", also Katharina II., deren Sarg nur
ansatzweise am linken Bildrand erkennbar ist), im Vordergrund ist
der Sarg seiner Tochter Elisabeth zu sehen.
Nach der Besichtigung verbrachten wir eine Ewigkeit mit Warten im
Bus, weil ein Mitreisender verschollen blieb. Der gute Mann war
in einen falschen Bus eingestiegen und hatte sich eine
Dreiviertelstunde lang nicht gewundert, wo denn seine Ehefrau blieb,
die - wie alle anderen - im richtigen Bus saß. Auch hatte er sich
wohl nicht gefragt, was denn die Schilder mit den Nummern drauf
vorne in den Bussen für eine Funktion haben, und daher natürlich
auch nicht bemerkt, dass die Nummer des Busses, in dem er bisher
saß, zufällig mit der Nummer des Stickers auf seinem Hemd
übereinstimmte, den man ihm vor Reiseantritt angeklebt hatte. Damit
das ganze völlig idiotensicher war, postierten sich auch noch die
Reiseleiter mit Nummernschildern vor den Bussen - und doch, es
reichte für diesen Herrn eben nicht. Dank seiner blieb von der
ohnehin knappen Zeit noch einmal deutlich weniger übrig.
An der Auferstehungskathedrale, der vielleicht imposantesten
Kirche St. Petersburgs, hatten wir nicht zuletzt wegen des oben
geschilderten Vorfalls (und weiterer Staus) noch ganze acht Minuten
(!) Zeit, was kaum zum Aussteigen und für ein Foto reichte. Gerne
hätten wir diese wunderschöne Kirche auch von innen gesehen oder
wenigstens in Ruhe betrachtet, aber das war leider nicht möglich.
Übrigens entging die russisch-orthodoxe Kathedrale mehrmals nur
knapp dem Abriss, weil sie nach Ansicht einiger kommunistischer
Funktionäre nicht zum Stadtbild passte, dem Zwiebeltürme ansonsten
fremd sind. Mit demselben "Argument" könnten die Pariser
freilich
auch ihren Eiffelturm abreißen, denn Stahltürme von 324m Höhe sind
dem Pariser Stadtbild ansonsten auch fremd.*
* Während ich diese polemische Zeile schreibe fällt mir auf, dass
nicht wenige Pariser den Eiffelturm ja tatsächlich mit diesem
Argument
abreißen lassen wollten. Nur gut, dass sich in Russland wie in
Frankreich letztlich die Leute mit Verstand durchgesetzt haben.
Die letzte Sehenswürdigkeit auf unserer Rundfahrt war die Isaakskathedrale.
Ihre riesige goldenen
Kuppel von 26m Durchmesser macht sie zum drittgrößten sakralen
Kuppelbau der Welt (nach dem Petersdom in Rom und der St Paul’s
Cathedral in London). Flächenmäßig ist sie die größte Kirche in St.
Petersburg. Dort blieben uns immerhin zehn Minuten Zeit, was
wiederum nur für eine Augenscheinnahme von außen reichte.
Die Rundfahrt endete danach mit einem halbstündigen Aufenthalt in einem
Andenkenladen. Ich wiederhole: Uns wurden acht Minuten Zeit an der
Auferstehungskathedrale gegeben, zehn Minuten an der
Isaakskathedrale und danach volle dreißig Minuten in einem
Andenkenladen! Natürlich partizipiert Costa an dessen Umsätzen, ich
vermute sogar, dass die vertragliche Verpflichtung besteht, alle
Touris dorthin zu karren, und wenn ein Opa die ganze Veranstaltung
fünfundvierzig Minuten lang aufhält, weil er im falschen Bus sitzt
und sich nicht wundert, dass die Dame neben ihm anders aussieht als
die letzten 60 Jahre, dann geht der Zeitverlust eben von den
Sehenswürdigkeiten ab, keinesfalls aber vom Pflichtshopping. Auch das ist Reisen mit Costa!
Was gab es neben den touristischen Attraktionen zu beobachten? Nun,
interessant fand ich vor allem, dass man so gut wie keine Zeichen
kommunistischer Herrschaft mehr im Stadtbild sah. Eine bescheidene
Leninstatue habe ich gesehen, sonst nichts. Wüsste man nicht, dass
diese Stadt 80 Jahre Kommunismus hinter sich hat, würde man es kaum
bemerken. Nicht verborgen bleiben, wenn man den Blick kurz von den
touristischen Attraktionen abwendet, allerdings die erheblichen
sozialen Probleme der Stadt. Protzige Villen hier, völlig
heruntergekommene Plattenbauten dort. Nicht zu übersehen waren auch
einige extrem aufgetakelte junge russische Damen, die -
offensichtlich auf der Suche nach interessierten westlichen Herren -
in knappen Röcken auf hohen Hacken an den Attraktionen herumstolzierten.
Vielleicht täusche ich mich aber auch, und es handelte sich nur um
die aktuelle russische Mode.
Ein Wort noch zu den viel gerühmten "weißen Nächten" in St.
Petersburg, auf die ich schon mehrfach angesprochen worden bin:
Tatsächlich geht um Mittsommer (21.6.) herum die Sonne dort erst
sehr spät unter und schon sehr früh wieder auf. Wir waren eine Woche
vor Mittsommer dort, haben also die "weißen Nächte" voll
mitbekommen. Was daran allerdings so toll (oder auch nur
bemerkenswert) sein soll, erschließt sich mir nicht. Es dämmert halt
später, nichts weiter. Bei uns geht die Sonne im Juni gegen 22 Uhr
unter, dort gegen 2 Uhr. Es ist also drei Stunden länger hell und
vielleicht eine Stunde länger dämmrig. So what?
In St. Petersburg sind wir sicherlich nicht zum letzten Mal gewesen,
schon wegen der verpassten Attraktionen wie der Eremitage und des Katharinenpalastes, aber auch
wegen der sonstigen Sehenswürdigkeiten, auf die wir allenfalls einen
flüchtigen Blick werfen konnten. Dann aber sicherlich nicht mit
Costa oder irgend einer anderen Reisegruppe, sondern schön mit
Individualvisum.
Nach einem weiteren Seetag endete die Kreuzfahrt vorpünktlich im
Hafen von Warnemünde. Nach dem problemlosen Ausschiffen und einem
Gepäckmarsch zum Parkplatz fuhren wir durch den deutschen "Sommer"
2012 bei Nieselregen zunächst noch einmal nach Travemünde und
anschließend nach Hause. Wir haben auf dieser Reise viel gesehen,
gutes Wetter gehabt und uns gut erholt. Costa wird allerdings auf
uns als Reisegäste zukünftig verzichten müssen.
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